SONNTAGSBLICK, 12.09.1993

Prost: "Für nächste Saison ist der 5. WM-Titel geplant!"


Roger Benoit sprach mit dem 3,99fachen Weltmeister über den 4. Titel, Starts, Senna und den Eiffelturm.

Bonjour, le petit Suisse! Starten wir doch das Interview gleich mit dem Start - plötzlich eine Schwäche von dir...
Ja und nein. Ich bin eben ein Pilot, dem es in der Seele wehtut, das Material zu treten. Doch die neuen Kohlefaserkupplungen und die Traktionskontrolle erfordern leider ein brutales Beschleunigen.

Wenn du hier in Monza gewinnen willst, musst du wieder schlecht starten...
Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber leider stimmt deine Bemerkung. Denn bei allen sieben Siegen kam ich nie als erster in die erste Kurve. Und viermal habe ich geführt, wie vor zwei Wochen in Spa, und das Rennen noch verloren. Budapest kann man ja nicht zählen. Da unterlief mir der Flop des Jahres, als mir der Motor beim Vorstart abstellte. Ich war noch tagelang sauer. Eigene Fehler ärgern mich am meisten.

Und die Kritik von aussen?
Nach dem Regenrennen von Donington war es am schlimmsten. Da wollte ich sogar den Bettel hinwerfen. Doch dann habe ich mir gesagt, was regst du dich über diese Idioten auf. Mit dem vierten WM-Titel gebe ich meinen Kritikern, die meist nicht in der Formel 1 sind, sicher die schmerzhafteste Antwort.

Schon vor einigen Jahren hattest du mit deinem Umfeld Probleme: Telefonterror, Morddrohungen...?
Das war der Grund, warum ich vor zehn Jahren in die Schweiz gezogen bin. Seither ist praktisch Ruhe. Natürlich gibt es immer noch einige Spinner. Doch böse Briefe kann man ja in den Papierkorb werfen.

Wie steht es mit deiner Popularität in Frankreich? Wirst du in deiner Heimat geliebt?
Ich glaube, dass normalerweise Leute, die gewinnen, nicht geliebt werden. Man bewundert sie. Ich würde sagen, dass von zehn Personen sechs bis sieben auf meiner Seite stehen und nur drei gegen mich sind. Damit kann man doch leben, oder?

Vor genau drei Jahren hast du für Ferrari im spanischen Jerez das letzte Rennen der "Roten" gewonnen. Ein Jahr später kam der Rauswurf, weil du das Auto als Lastwagen und Taxi bezeichnet hast...
Ich sagte nur die Wahrheit - und die schmerzt oft. Ich bedaure weder meine Worte noch die schöne Zeit mit Ferrari. Und meine Kritiker von damals verstehen heute, dass ich recht gehabt habe. Ich hoffe aber ehrlich, dass es mit diesem Traditionsteam endlich wieder aufwärts geht. Seit meinem Sieg 1990 in Spanien hat Ferrari ja in 46 Rennen nicht mehr gewonnen.

Und ausgerechnet in der Ferrari-Hochburg Monza stehst du 1993 zum 12. Mal auf der Pole-Position. Mansells Saisonrekord liegt bei 14. Ein Anreiz für dich?
Sicher. Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Und 15 Trainingssiege sind ja noch möglich.

Du hast bist jetzt sieben Saisonsiege, Nigel Mansell gewann 1992 den Titel mit neun Erfolgen...
Okay, auch dieser Rekord ist in Gefahr. Ich will in Italien mit einem Sieg Weltmeister werden. Und dann fahre ich in den letzten drei Rennen ohne Druck, aber mit einer noch grösseren Motivation. Ich verspreche den Fans ein Spektakel.

Dein WM-Titel 1993 war ja programmiert. Ein Superpilot im besten Auto - da konnte und durfte nichts schiefgehen...
Ich kann mit diesem Druck leben. Doch das Pausenjahr 1992 war doch ein grösseres Handicap als ich geglaubt habe. Mein Erfahrungsschatz wurde teilweise gelöscht - und mein Nackenumfang ist in der rennlosen Zeit um zwei Zentimeter geschrumpft. Ich habe vier Monate gebraucht, um die Muskulatur wieder aufzubauen.

Dein wichtigster Sieg zum 4. WM-Titel war aber, dass du im letzten Winter erfolgreich das Veto gegen Senna eingelegt hast. Die Kritiker sprachen sogar vom Feigling Prost...
Das ist mir egal. Ich wollte bei meinem Comeback einfach Ruhe im Team. Für mich war vieles neu. Und Senna wäre ein zusätzliches Problem gewesen. Das wollte ich mir nicht antun.

Und für 1994 klopft Senna erneut an die Williams-Tür...
Ich bin prinzipiell nicht mehr gegen Senna. Doch mit Damon Hill bilden wir schon jetzt ein starkes Team. Ich sehe also keinen Grund, dass es Änderungen gibt.

Und dann wäre auch dein 5. WM-Titel und damit die Egalisierung des Fangio-Rekordes programmiert...
Klar, der 5. Titel ist für 1994 mein grosses Ziel!

Und dann der Rücktritt mit 40 Jahren?
Ich habe mir noch keine Gedanken gemacht. Alles ist möglich. Vielleicht baue ich ein eigenes Team auf, denn kaum jemand kennt die Formel 1 so gut wie ich. Es wäre gut, in dem Milieu zu bleiben, in dem man aufgewachsen ist.

Und die Familie?
Die Entwicklung meiner beiden Kinder steht sicher immer mehr im Vordergrund. Nicolas und Sacha sind richtige Sportskanonen. Sacha spielt mit vier Jahren schon Tennis, Nicolas liebt leider die Töffli. Doch zwei Sportarten werde ich meinen Boys verbieten: Motorrad und Boxen.

Vor einer Woche hat es in Misano WM-Leader Wayne Rainey in der 500-ccm-Klasse bös erwischt. Er wird sein Leben lang im Rollstuhl sitzen...
Der Unfall hat mich aufgeschreckt. Irgendwie ist es fast wie ein Wunder, dass bei uns seit vielen Jahren nichts Ernsthaftes passiert ist. Ein Dank an die Konstrukteure und das Kohlefasermaterial. Machen wir uns aber nichts vor: Vor über zehn Jahren hätte zum Beispiel der Zanardi-Crash in Spa tödlich geendet. Jetzt muss man nur noch das Problem mit dem Regen lösen. In Zukunft spiele ich nicht mehr Russisches Roulette wie kürzlich in Hockenheim. Der Warwick-Unfall war wohl die letzte Warnung.

Was ist sonst noch unangenehm in der Formel 1?
Es regieren leider immer noch Polemik und Politik. Der Streit um die neuen Reglemente ist offenbar immer noch nicht beendet. Die Computertechnik stellt den Fahrer in den Hintergrund. Viele Arbeiten beim Abstimmen wurden von den Technikern übernommen. Mit den passiven Autos 1994 ist zum Glück der Pilot wieder mehr gefordert. Das habe ich diese Woche bei den ersten Tests in Imola sofort gemerkt.

Aber die jungen Wilden werden auch nächste Saison tüchtig Gas geben...
Okay, mit 25 fährst du in jeder Kurve am Limit. Mit 38 fährst du nur noch schnell, wenn es nötig ist. Ich muss langsam meine Kräfte besser einteilen - und ausserhalb des Cockpits härter trainieren. Fehler darfst du in meinem Alter kaum mehr machen, denn sonst heisst es sofort: Der ist zu alt und sollte zurücktreten!

Und nach 13 Jahren bist du wirklich noch nicht müde?
Nicht müde, aber ich komme in letzter Zeit immer mit zwei Helmen an die Rennstrecke. In einem steckt der Prost, der über die Abstimmung und die Kurven nachdenkt. Im andern steckt der Prost, der sich über die Atmosphäre im Zirkus aufregt und alles in Frage stellt.

Vielleicht solltest du mal im Cockpit - wie Senna und Schumacher - mit Gott sprechen...
Ich bete viel, aber nicht im Auto. Ich glaube an Gott. Aber das ist es.

Wenn wir schon nach oben blicken: Warst du als Franzose schon einmal auf dem Eiffelturm?
Das hat mich bisher niemand gefragt - und die Antwort ist nein. Das ist dann etwas für mein Leben nach dem Rücktritt.



Steckbrief

Name Prost
Vorname Alain
Zivilstand Verheiratet mit Anne-Marie, 2 Söhne. Nicolas (12) und Sacha (4)
Autogrammadresse 1141 Yens (VD)
Beruf Rennfahrer
Grösse 1, 67 m
Gewicht 61 Kilo
Augen Graugrün
Haare Dunkelbraun
Hobbys Golf, Ski, Velo, Motorboote, Telefonieren, Schlafen
Lieblingsmusik Alles, also auch klassisch
Lieblingsgetränk Passugger und zum Essen auch mal einen guten Bordeaux
Lieblingsessen Ich gehe fast meilenweit für eine gute Gemüsesuppe. Nachher Pasta, Früchte und eine schwarze Toblerone...
Lektüre Lustige Bücher, Le Figaro, Le Matin und die französische Sportzeitung L'Equipe, mit der ich allerdings meist nicht einverstanden bin. Aber ich bin eben ein totaler Resultate-Freak
Auto Renault Espace und Renault Safran
Persönlicher Sponsor Kickers (Schuhe)
Erster Grand Prix 1980 in Buenos Aires auf McLaren - 6. Platz
Bilanz Dreimal Weltmeister 1986/86/89. Viermal Vizechampion 1983/84/88/90. 195 Rennen, 51 Siege, 103mal auf dem Podest, 124mal in den WM-Punkten (total 780,5). 32 Pole-Positionen, 40 Schnellste Rennrunden.



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