AUTO MOTOR UND SPORT, 01.09.1995

"MANSELL MAG ICH NICHT, ABER ER HAT CHARISMA"


DER VIERMALIGE FORMEL 1-WELTMEISTER ALAIN PROST NIMMT IN EINEM GESPRÄCH MIT AUTO MOTOR UND SPORT STELLUNG ZU DER NEUEN FAHRERGENERATION, ZU PROBLEMEN MIT DER SICHERHEIT UND ZU PLÄNEN FÜRS EIGENE TEAM.

MIT WELCHEN GEFÜHLEN SEHEN SIE SICH HEUTE, GUT EIN JAHR NACH IHREM RÜCKTRITT, EINEN GRAND PRIX AN?
Auf jenen Rennstrecken, die mir schon als Aktiver gefallen haben, tut es immer noch weh. Ich versetze mich dann augenblicklich in die Situation der Fahrer hinein und überlege mir: Was hättest du wohl in seiner Situation gemacht?

ALSO BEISPIELSWEISE LIEBER ABGEWARTET STATT ÜBERHOLT?
Weniger solche strategischen Überlegungen. Mich interessiert mehr der technische Aspekt, gerade jetzt, wo es ein neues Reglement gibt. Ein Auto daraufhin zu entwickeln wäre meine Stärke gewesen.

WOHER NEHMEN SIE DIESE SICHERHEIT?
In Interlagos war ich zum Beispiel in der Williams-Box und habe mir genau die Abstimmung des Autos von Damon Hill eingeprägt. Am Samstagabend bin ich zu Damon gegangen und habe ihm gesagt: Ich weiß genau, was du von gestern auf heute geändert hast. Er wollte das zuerst nicht glauben. Aber ich konnte jedes Detail exakt aufzählen. Heute noch habe ich das Auge für solche technischen Feinheiten. In vier, fünf Jahren ist das vielleicht nicht mehr der Fall. Der Sport ist so kompliziert geworden, daß man täglich mit dem Auto arbeiten müßte, um tatsächlich langfristig auf dem laufenden zu bleiben.

TROTZDEM KEINE COMEBACK-GEDANKEN?
Meine Zeit als Rennfahrer ist vorbei. Einmal muß Schluß sein.

UND WOMIT BESCHÄFTIGEN SIE SICH DERZEIT?
Ich bin Privatmann, und ich arbeite für Renault. Man setzt mich für PR- und Marketingzwecke ein. Ich bin Teil der Imagewerbung und muß für Präsentationen rund um die Welt reisen - mal nach Tokio, mal nach Hongkong.

WIE SCHÄTZEN SIE DIE ERSTEN BEIDEN RENNEN DER NEUEN SAISON EIN?
Insgesamt scheinen die Autos näher zusammengerückt zu sein. Das ist zumindest der Eindruck im Training. Im Rennen sind die Unterschiede unerklärlicherweise größer.

GLAUBEN SIE, DASS DIE KLEINEN TEAMS VON DER REGELÄNDERUNGEN PROFITIERT HABEN?`
Ja, aber nur kurzfristig. Am Anfang muß jeder erst einmal die neuen Autos begreifen lernen - die großen wie die kleinen. Nur geht bei den großen das Begreifen schneller, weil sie mehr Erfahrung und mehr Geld haben, diese Erfahrungen auch umzusetzen. Ich fürchte, wir werden bald schon wieder die gleichen Abstände sehen wie früher.

AUCH DIE GROSSEN TEAMS MACHEN FEHLER: SIEHE MCLAREN UND DIE COCKPITPROBLEME.
Ich kann fast nicht glauben, dass sich ein so professionelles Team wie McLaren so täuscht. Vielleicht benützen sie das Platzproblem von Mansell auch dazu, um von den Schwierigkeiten mit dem Auto abzulenken und ein neues zu bauen. Aber Vorsicht vor Nigel Mansell. Der kennt nur schwarz oder weiß. Für ihn ist ein Auto entweder gut oder schlecht. Vielleicht übertreibt er mit dem Cockpitproblem auch, weil er den McLaren als Ganzes nicht optimal findet.

IHR ARBEITGEBER RENAULT BELIEFERT IN DIESEM JAHR MIT BENETTON UND WILLIAMS ERSTMALS ZWEI TOPTEAMS. KANN DAS AUF DAUER GUTGEHEN?
Im Motorsport, speziell in der Formel 1, gibt es logischerweise immer mehr unglückliche als glückliche Leute. Denn am Jahresende feiert nur einer von 26 Fahrern und nur eines von 14 Teams. Es ist völlig unrealistisch zu glauben, daß am Saisonende Williams und Benetton jubeln werden. Da spielt schon die Presse nicht mit. Die deutschen Medien werden nach Gründen suchen, wenn Schumacher nicht so gut abschneiden sollte wie die englische Konkurrenz. Und umgekehrt. Einer wird der Verlierer sein, und Renault wird das möglicherweise ausbaden müssen. Da können sie noch so ehrlich sein und beiden Teams exakt das gleiche Material zur Verfügung stellen.

WIE GLEICH IST GLEICH?
Bei Renault kann ich mich dafür verbürgen, daß gleich wirklich gleich bedeutet. Nicht weil ich jetzt für diese Firma arbeite, sondern weil ich sie schon seit Jahren kenne. Das sind Leute, für die der Sport an erster Stelle steht. Aber die Frage ist natürlich dennoch gerechtfertigt. Gleiches Material muß nicht gleiche Behandlung bedeuten. Ich habe bei McLaren von Honda die gleichen Motoren wie Ayrton Senna bekommen, aber die Ingenieure haben sich um mich nicht gekümmert wie um Ayrton. Sie haben mich merken lassen, daß ich für sie nur die zweite Wahl war. Das waren kleine Nadelstiche, die meine Psyche getroffen haben.

WILLIAMS IST MIT RENAULT SCHON SEIT 1989 LIIERT; BENETTON KAM ERST 1995 NEU DAZU. LIEGT DARIN NICHT EIN VORTEIL VON WILLIAMS GEGENÜBER BENETTON?
Nur bei den ersten Rennen. Da hilft es, die Leute zu kennen, ihre Arbeitsweise, die Eigenheiten des Motors, Benetton muß erst mal lernen, daß ein Zehnzylindermotor ganz andere Probleme aufwirft als ein V8. Andererseits kann eine zu tiefe Verbundenheit über Jahre auch zum Nachteil werden. Alten Freunden gegenüber wird man nachlässiger, weniger scharf in den Forderungen.

DIE FORMEL 1 HAT IN DIESEM JAHR SCHON WIEDER UNFÄLLE WEGEN MATERIALBRÜCHEN ERLEBT: MICHAEL SCHUMACHER VERUNGLÜCKTE WEGEN EINES LENKUNGSDEFEKTS, GERHARD BERGER WEGEN EINES AUFHÄNGUNGSBRUCHS. HAT DIE FORMEL 1 AUS DEN TÖDLICHEN UNFÄLLEN VON AYRTON SENNA UND ROLAND RATZENBERGER NICHTS GELERNT?
Mich beunruhigt diese Serie von Unfällen wegen Defekten. Ich kann nicht verstehen, daß bei all der High Tech in der Formel 1 immer noch so elementare Bauteile wie eine Lenkung oder eine Aufhängung brechen können. Die einzige Entschuldigung für so etwas wäre ein Bruch infolge eines Vorschadens, weil der Fahrer über einen Randstein gerutscht ist und das an den Boxen nicht hat reparieren lassen.

WARUM SIND SIE NICHT MITGLIED DER FAHRERVEREINIGUNG GPDA? DANN KÖNNTEN SIE AKTIV FÜR MEHR SICHERHEIT KÄMPFEN.
Ich hätte da ganz gerne mitgemacht, aber bei dem Stil, in dem die GPDA heute geführt wird, hat das keinen Sinn. Ich habe den Fahrern nach den tödlichen Unfällen von Imola gesagt: Das ist eine einmalige Chance. Ihr seid jetzt in einer starken Position, in der ihr Forderungen stellen könnt. Einfach einen Verein zu gründen genügt eben nicht.

DIE FAHRER REDEN DOCH HEUTE IN SACHEN SICHERHEIT MIT.Aber sie haben faktisch keine Macht. die GPDA ist nicht in den Statuten des Automobilweltverbandes FIA als mitentscheidendes Gremium verankert. Damit hat diese Fahrervereinigung aber keine Rechte. Ich kann heute schon prophezeien, was passiert, wenn der Start eines Grand Prix wegen starkem Regen auf der Kippe steht. Die sieben oder acht etablierten Fahrer sagen: Wir fahren nicht. Der Rest wird einsteigen. Wäre die GPDA eine offiziell anerkannte Institution mit strengen internen Regularien, dann hieße es: entweder alle fahren oder keiner. Andernfalls würden die Fahrer, die aus dem Boykott ausbrächen, gegenüber der GPDA vertragsbrüchig.

WER WÄRE DENN DER IDEALE PRÄSIDENT FÜR SO EINE VEREINIGUNG?
Ich will mich nicht aufdrängen. Unter den richtigen Bedingungen hätte ich es gemacht. Ich wäre aber auch mit einer Nebenrolle im Turm der Rennleitung zufrieden gewesen, wo ich die Macht gehabt hätte, ein Rennen abbrechen zu lassen, wenn es zu gefährlich wird. Nur ein Rennfahrer kann so etwas entscheiden, nie ein Funktionär. Klar ist, daß der Präsident einer richtig funktionierenden GPDA ein Außenstehender sein muß. Ein Michael Schumacher oder Damon Hill stünden immer in einem Interessenkonflikt.

GEHEN DER FORMEL 1 DIE PERSÖNLICHKEITEN AUS?
Die meisten jungen Fahrer haben keine Persönlichkeit. Wie sollen sie sich auch entwickeln können? Sie reisen an mit Manager, PR-Berater, Doktor, Anwalt, Vater, Mutter und Bruder. Und jeder redet ihnen ein, was sie tun und lassen sollen. Irgendwie habe ich das Gefühl, daß sich die Formel 1-Strategen daran nicht mal stören. Marionetten, die man nach Belieben herumdirigieren kann, sind einfacher zu kontrollieren als Stars mit Charakter.

MAL ANGENOMMEN, SIE WÄREN SELBST RENNSTALLBESITZER. WÄREN IHNEN NICHT PFLEGELEICHTE FAHRER LIEBER?
Es gibt keine guten Rennfahrer ohne Persönlichkeit. Würde ich diese unterdrücken, würde ich mir selber schaden. Ich würde meinen Fahrern daher jeden Freiraum lassen, solange sie sportlich auftreten. Wenn einer nach einem Fahrfehler sein Lenkrad aus dem Auto feuert wie Barrichello in Brasilien, dann kann ich das nicht akzeptieren. Das ist ganz schlechter Stil.

WIESO DENN? IST EINE SOLCHE REAKTION NICHT VERSTÄNDLICH?
Man muß immer Respekt vor seinem Auto und seinem Team zeigen. Die Mechaniker schuften sich nicht die Finger wund, damit der Fahrer unbeherrscht reagiert. Was einer sonst anstellt, wäre mir egal. Er könnte meinetwegen jeden Tag mit einer neuen Freundin auftauchen oder auch mal Kritik am Team üben, solange die Kritik produktiv ist. Das heißt: Wer kritisiert, muß auch Vorschläge machen, wie es besser geht.

IHRE SCHLUSSFOLGERUNG?
Die Formel 1 braucht Charaktere. Als Teamchef würde ich heute sogar Nigel Mansell engagieren, obwohl ich ihn persönlich nicht mag. Er wäre nicht mein Traumpilot, aber er hat wenigstens Charisma.

WAS SAGEN SIE ZU DEM BENZINSKANDAL BEIM GRAND PRIX VON ARGENTINIEN?
Eine komische Geschichte, die der Formel 1 schadet. Der Sport braucht klare Messmethoden und einen genau definierten Strafenkatalog, um wieder glaubwürdig zu werden.

WIE WEIT SIND IHRE PLÄNE FÜR EIN EIGENES FORMEL 1-TEAM GEDIEHEN?
Es könnte sich sehr bald etwas entscheiden. Es gibt da ein seriöses Projekt. Über Details möchte ich aber erst reden, wenn alles unter Dach und Fach ist. Voreilig etwas herumzuerzählen hat schon vielen das Genick gebrochen.

DAS INTERVIEW FÜHRTE AUTO MOTOR UND SPORT-REDAKTEUR MICHAEL SCHMIDT



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