MOTORSPORT AKTUELL, 01.05.1985

Alain Prost: "Nein ich fühle mich nicht als Pechvogel"

"Ins Auto zu klettern, ist so schön, wie eine Frau zu lieben"

Alain Prost über seine Ängste, seine grössten Befriedigungen, seine Nerven und seinen Sohn

Beim WM-Finale im Herbst hast du auf dem Podest von Estoril vor Enttäuschung geweint. Belastet es dich nicht ungeheuer, auch dieses Jahr wieder eine tadellose Saison haben zu müssen, um endlich Weltmeister zu werden?
Ja, das ängstigt mich ein wenig. Andrerseits ist dieser Druck aber eine ausgezeichnete Herausforderung, die ich seit vier Jahren annehme und mit der ich zu leben gelernt habe.

Aber ist in dir nie Wut aufgekommen, weil du doch nicht viel mehr machen kannst, als in einem Jahr gleich sieben Grand Prix zu gewinnen?
Doch, aber auf diese Weise wirst du Fatalist. Sieben Rennen genügen nicht zum Titel? Also gut, gewinne ich 1985 eben acht. Trotzdem glaube ich, dass man für den Weltmeistertitel nicht so viele Rennen zu gewinnen braucht.

Macht dich die Vorstellung, dass Keke Rosberg 1982 mit nur einem Sieg Champion wurde, nicht eifersüchtig?
Es irritiert mich, aber es macht mich nicht neidisch. Schau, ich habe in den letzten Jahren mehr GP gewonnen als alle anderen Fahrer. Ich habe in Relation zu den gefahrenen Rennen mehr Punkte geholt als jeder andere. Also hätte ich es sicher verdient, Weltmeister zu werden; aber es ist halt anders gekommen. Die Rennen sind wie das Leben: Es gibt besondere Umstände und Ereignisse, die alle Erwartungen und Spekulationen über den Haufen werfen. In diesem Jahr erwartet jeder von mir, dass ich den Titel hole. Und was das Schlimmste ist: Wenn ich wirklich Weltmeister werde, dann ist das für alle ganz normal. Die Leute vergessen leicht, wie schwierig es ist, ständig unter den besten zu bleiben.

Was ist das Auto für dich – Partner oder Gegner?
Ich liebe mein Rennauto. Die McLaren-Leute wissen, wie wütend ich werde, wenn ich aus eigener Blödheit etwas am Wagen kaputtmache. Es ist wie mit den Reifen: Ich trage sie behutsam um den Kurs, rede ihnen im Geiste gut zu. Ich liebe die Technik.

Zurück zur WM: Ich fand es in Estoril 1984 etwas unglaubwürdig, als Lauda zu dir gesagt hat, er werde dir in diesem Jahr helfen, Weltmeister zu werden.
Niki hat das nicht so gesagt. Er hat gesagt: "Wenn ich 1985 nicht die Möglichkeit habe zu siegen, helfe ich dir, es zu tun". Dass diese Abmachung auch umgekehrt gilt, ist für mich selbstverständlich. Vor der Saison kann man nichts entscheiden. Wenn er wieder in der gleichen Situation ist, wird er mit allen Mitteln versuchen, wieder Weltmeister zu werden, und das ist gut so. Alles andere würde mich enttäuschen.

Was ist die grosse Leistung Niki Laudas? Einen Fahrer zu schlagen, der eigentlich schneller ist?
Aufgepasst – Niki ist 1984 schneller gefahren, als er vorgehabt hat. Er hat mich besiegt, weil er im Verlauf der gesamten Saison ausgeglichener Punkte geholt hat. Er hatte wohl das günstigere Horoskop.

War es ein Vor- oder ein Nachteil, dass ihr – du und Niki – letztes Jahr so überlegene Fahrzeuge pilotieren konntet?
Ich bin sicher, dass der Unterschied zwischen mir und Lauda klarer zu Tage getreten wäre, wenn wir gegen stärkere Konkurrenz hätten kämpfen müssen.

Würdest du dich als ausgesprochenen Pechvogel bezeichnen?
Aber nein. Im Gegenteil: Ich habe zum Beispiel das Glück, noch nie einen wirklich schweren Unfall gehabt zu haben, wie etwa Didier Pironi. Da fällt mir eine Anekdote ein: Zu Beginn eines Golfspiels wurde der amerikanische Entertainer Sammy Davis jr. gefragt, was sein Handicap sei. Sammy meinte: "Ich bin Jude, schwarz und sehe nur auf einem Auge, genügt das?" Nein, ich glaube, ich bin kein Pechvogel.

Wie siehst du die neue Saison?
Wir haben uns auf eine neue Reifenfirma umstellen müssen. Ausserdem fürchte ich mich vor Ferrari, Lotus und Brabham. Im ganzen lässt sich feststellen, dass 1985 sicher eine ausgeglichenere WM wird als 1984. Allerdings wird es für die Teams immer aufwendiger, konkurrenzfähig zu bleiben. Ich habe bei McLaren einen Dreijahresvertrag unterschrieben, weil ich das Budget dieses Teams kenne und weiss, dass sie drei Jahre lang an der Spitze der Formel 1 bleiben können. Aber für viele andere Teams gilt der Teufelskreis: Ohne Geld nicht konkurrenzfähig, aber ohne Konkurrenzfähigkeit wieder kein Geld. Die Formel 1 ist viel zu teuer geworden. Was brauchen wir eigentlich Qualifikationsmotoren? Was bringt es, wenn Ferrari oder BMW Triebwerke auf die Strecke bringen, die mehr als 1000 PS leisten? Die Formel 1 sollte nach neuen technischen Lösungen suchen, das ist ihre Aufgabe.

Man wirft dir vor, dass dir in entscheidenden Situationen die Nerven versagen.
Ich will darauf keine Antwort geben, diese Frage regt mich auf.

Stimmt es nun oder nicht?
Schau, als ich in Kyalami 1983 gegen Piquet die WM verlor, hielt man mir vor, die Nerven hätten versagt. Dabei ging ein Turbo in die Brüche. Als mir ein Renault-Mechaniker vorhielt, ich hätte keine Nerven, musste ich mich zusammenreissen, um ihm nicht eine Tracht Prügel zu verpassen. Ich schlage mich die ganze Saison mit harter Konkurrenz herum, und wenn ich im letzten Rennen mit technischem Defekt ausscheide, heisst es, dem Prost haben wieder die Nerven einen Streich gespielt. Zandvoort 1983 und Dallas 1984 – das waren eigene Fehler, zwei in vier Jahren. Wenn ein Mechaniker einen Fehler begeht, regt das niemanden auf. Kein Wunder, er fährt ja nicht da draussen vor 100 Millionen Leuten.

Sind die französischen Fans unsportlich?
Nein, das kann man nicht sagen. Sie sind chauvinistisch und sie feiern einen Sportler ebenso gern, wie sie ihn in die Pfanne hauen. Aber das ist immer noch besser als die italienischen Auswüchse.

Wie reagierst du auf Leistungsdruck?
Ich brauche ihn. Selbst auf dem Startplatz, wenige Minuten vor dem Start, wo du dich völlig abkapseln und abschalten solltest, schwirren noch unzählige Leute um dich herum. Und einer haut dir auf die Schulter und fragt "Hast du Gérard irgendwo gesehen?" Aber ich brauche das.

Wie äussert sich die Anspannung bei dir? Musst du mehr als sonst auf die Toilette?
Nein, aber ich kann nicht besonders gut schlafen. Ausser in der letzten Nacht vor dem Grand Prix. Da weiss ich ganz genau, dass ich Schlaf brauche, um am nächsten Tag fit zu sein, und prompt schlafe ich tief und fest. Die grösste Angst habe ich jeweils, wenn ich am Mittwoch ins Flugzeug steige und irgendwohin zu einem Rennen fliegen muss. Da habe ich weiche Knie. Am besten fühle ich mich, wenn ich unmittelbar vor dem Rennen ins Auto steige. Das ist ein unglaublicher Vorgang für mich. Für mich so schön, wie mit einer Frau zu schlafen.

Bist du auch für deinen Sohn der grosse Rennfahrer oder einfach der liebevolle Vater?
Vor allem sein Vater. Aber ich glaube, der Kleine merkt langsam, was , ich beruflich betreibe. Als ich mir vor ein paar Wochen die Aufzeichnung des GP Deutschland 1984 in Hockenheim angesehen habe, wurde mir das bewusst. Da fuhr Niki gleich hinter mir, und Nicolas krähte vergnügt: "Schau, ich habe zwei Papis!"

Rob La Salle



Back to interview-page!

To Prost-infopage!

To prostfan.com!

prostfan.com © by Oskar Schuler, Switzerland