CREDIT SUISSE, 01.02.2005

Alain Prost: "Mein grösster Fehler? Dass ich es versuchte."


From the Credit Suisse Bulletin magazine, February 2005.

Interview: Andreas Thomann.
Photo: Pia Zanetti

Als Rennfahrer eine lebende Legende, als Teamchef grandios gescheitert: Alain Prost hat in seiner Formel-1-Karriere zwei grundverschiedene Geschichten geschrieben. Im Rückblick bereut der vierfache Weltmeister nichts - ausser dem Entscheid, einen eigenen Rennstall zu gründen.

Herr Prost: Sie sind viermal Weltmeister geworden, aber auch viermal Zweiter. Wurmt es Sie im Rückblick manchmal, dass Ihr Palmarès nicht noch üppiger ausfiel?
Nun, man kann die Geschichte immer wieder aufrollen und sich fragen, was gewesen wäre, wenn... Gewiss, manche Niederlagen waren schmerzlich. 1983, gegen Nelson Piquet, fehlten bloss zwei Punkte, ein Jahr später schlug mich Niki Lauda sogar bloss um einen halben Punkt. Und als Ayrton Senna 1988 Weltmeister wurde, hatte ich elf Punkte mehr auf dem Konto - doch damals zählten nur die elf besten Ergebnisse. Wichtiger als die Siege war für mich, dass ich seit 1981 in praktisch allen Saisons um den Titel kämpfen konnte, oft bis zum letzten Rennen.

Piquet, Lauda, Senna: Diese drei Fahrer waren auch Ihre grössten Rivalen im Laufe Ihrer Formel-1-Karriere. Welcher hat Sie am meisten beeindruckt?
Am Anfang war bestimmt Piquet das Mass aller Dinge - ein sehr harter Kämpfer. Bei Niki beeindruckte mich die Konstanz. Als er 1984 vor mir Weltmeister wurde, war ich eigentlich meist schneller gewesen in den Rennen, aber er hatte seine Kräfte besser eingeteilt. Das war eine wichtige Lektion für meine Zukunft. Doch wenn es einen Fahrer gibt, der aus der Masse ragte - sowohl fahrerisch als auch mental -, dann war es Ayrton Senna.

Die Duelle zwischen Ihnen und Ayrton Senna sind längst Teil der Formel-1-Geschichte. Hier der kühle «Professeur», dort der impulsive Brasilianer. Wie viel ist dran an diesem Klischee?
Wie bei allen Klischees ist immer ein Körnchen Wahrheit dabei. Tatsache ist aber, dass sich Senna während seiner Karriere immer mehr meinem Fahrstil annäherte.

Und wie gross war die von den Medien geschürte Rivalität tatsächlich?
Natürlich waren wir Rivalen. Während zwei Saisons fuhren wir ja sogar im gleichen Team, also mit dem gleichen Material. Und in der Formel 1 gilt: Dein Teamkollege ist immer auch dein grösster Gegner. Denn nur Fahrer eines gleichen Teams kann man direkt miteinander vergleichen.

Ausser, es gibt eine Stallorder.
Ja, doch die gab es damals bei McLaren nicht. Das Team setzte bewusst auf die Konkurrenzsituation. Und die Fans waren entzückt. Dank unserer Rivalität begannen sich viele Leute erst für die Formel 1 zu interessieren. Natürlich haben die Medien und die Sponsoren tüchtig nachgeholfen. Trotz aller Rivalität verloren wir jedoch nie den gegenseitigen Respekt.

Warum wechselten Sie trotzdem auf die Saison 1990 hin zu Ferrari?
Um ehrlich zu sein, hatte ich etwas die Nase voll, die ganze Arbeit für Ayrton zu machen. Während er im Winter für drei Monate auf Urlaub ging, spulte ich Hunderte von Testkilometern ab. Also teilte ich dem Team Mitte der Saison mit, dass ich den Vertrag nicht verlängern wolle. Damals wusste ich noch überhaupt nicht, wo ich landen würde.

Die zwei Jahre bei Ferrari waren längst nicht so glorios wie die sechs Jahre davor bei McLaren. Bereuen Sie heute den damaligen Entscheid?
Überhaupt nicht. Das erste Jahr war fantastisch, vielleicht das schönste in meiner Karriere. Das Team hat toll gearbeitet, und die Stimmung war einzigartig. Mit einem weitsichtigeren Management wäre ich auch Weltmeister geworden. Dafür wurde die folgende Saison zum Desaster - wir holten keinen einzigen Sieg und ich landete abgeschlagen auf Rang drei. Entsprechend schlug die Stimmung um. Somit habe ich beide Seiten von Ferrari erlebt: das Feuer und das Eis.

In einem Desaster endete auch Ihr Abenteuer als Chef eines eigenen Rennstalls. Was lief schief bei Prost Grand Prix?
Zuerst einmal waren die Erwartungen überrissen. Wir fingen praktisch bei Null an, und wir verfügten nach Minardi über das kleinste Budget in der Formel 1. In solch einem Fall dauert es Jahre, bis man zur Spitze gefunden hat. Und es braucht solide Partner, die wir nicht hatten. Vor allem beim Motorenlieferanten Peugeot fehlte von Anfang an die Motivation, sich längerfristig in der Formel 1 zu etablieren. Zudem machte die Wirtschaftskrise die Sponsorensuche immer schwieriger. Als wir beispielsweise einen Deal mit dem südamerikanischen TV-Netzwerk PSN abgeschlossen hatten, ging die Firma wenig später Konkurs. Auch mit Yahoo hatten wir ein Abkommen, dann folgte die Internetkrise. Die Abwärtsspirale war nicht mehr aufzuhalten.

Was würden Sie heute im Rückblick anders machen?
Es gibt eigentlich nur eine Sache, die ich anders machen würde: Ich würde gar nicht erst damit beginnen. Bei allen Entscheidungen, die danach folgten, hatte ich oft gar keine Wahl. Ich stand finanziell mit dem Rücken zur Wand.

Neben Prost verschwand auch Arrows von der Bildfläche. Stehen die Privatteams gegen die übermächtigen Werkteams auf verlorenem Posten?
Im besten Fall schafft es ein kleines Team, während einer Saison ein konkurrenzfähiges Auto zu stellen. Doch über mehrere Saisons hinweg vorne mitzumischen, liegt nicht mehr drin. Da sind die potenten Werkteams eindeutig im Vorteil: Die können sich viel schneller den Regeländerungen anpassen, weil sie spezielle Equipen haben, die sich nur mit solchen Fragen befassen. Mit Sponsoringgeldern allein kommt man heute in der Formel 1 nicht mehr ganz nach oben, zumal das Interesse der Sponsoren an einer immer eintönigeren Formel 1 eher nachlässt.

Die grossen Teams haben heute Budgets von rund 500 Millionen Franken. Wie kann man die Kostenexplosion stoppen?
Zuallererst müssen alle Verantwortlichen wirklich daran interessiert sein, die Kosten zu reduzieren. Hier liegt das Hauptproblem.

Mal angenommen, es gäbe Einigkeit. Was müsste konkret geschehen?
Um wirklich etwas zu verändern, müsste man die Anzahl Tests massiv reduzieren. Dabei darf man nicht vergessen, dass auch viele Arbeitsplätze verloren gingen. Gewisse Teams beschäftigen heute zwischen 800 und 1000 Mitarbeiter. Will man mit den Kosten runter, so geht das nur, wenn man Leute entlässt.

Was halten Sie von Einheitsreifen?
Davon halte ich nicht viel. Wenn man Einheitsreifen einführt, warum nicht auch Einheitsmotoren? Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu Einheitsautos. Die Formel 1 war immer ein doppelter Wettkampf zwischen Fahrern und Technologien. Diesen Grundgedanken würde ich nicht in Frage stellen.

Wie schätzen Sie die Chancen von Sauber Petronas in einer von Werkteams dominierten Formel 1 ein?
Für mich gibt es grundsätzlich drei Kategorien von Teams in der Formel 1: die grossen Werkteams, die Privatteams und irgendwo dazwischen Sauber. Peter Sauber hat wirklich einen hervorragenden Job gemacht in den letzten Jahren. Zu Beginn der vergangenen Saison hat er sogar McLaren in Schach gehalten, und in der Endabrechnung lag er wiederum vor Toyota und Jaguar.

Also ist Sauber Petronas die berühmte Ausnahme, welche die Regel bestätigt?
Wahrscheinlich. Peter Saubers grosser Vorteil ist, dass er mit Petronas und der Credit Suisse zwei grosse Sponsoren langfristig an sich binden konnte. Sie geben ihm die Stabilität, die es braucht, um erfolgreich zu sein. Hinzu kommt die gute Beziehung zum Motorenlieferanten Ferrari. Ich bezweifle allerdings, ob die Schweizer jemals aus eigener Kraft ganz nach vorne kommen können. Dazu bräuchte es einen Deal mit einem Automobilhersteller.

Inzwischen scheint das Team immerhin so attraktiv, dass auch ein ehemaliger Weltmeister wie Jacques Villeneuve verpflichtet werden konnte. Was trauen Sie ihm zu?
Jacques ist ein hervorragender Fahrer mit viel Charisma. Er war der Letzte, der sich auf Augenhöhe mit Michael Schumacher schlug. Allerdings habe ich seinen Wechsel zu BAR nie verstanden. Ein Fahrer von seinem Talent hätte immer in einem Team fahren müssen, mit dem er um den Weltmeistertitel hätte kämpfen können. Bei Sauber Petronas wird ihm das wohl auch nicht vergönnt sein. Für eine erfolgreiche Saison mit ein paar Podestplätzen könnte es allemal reichen.

Villeneuves Comeback weckt Erinnerungen an die Saison 1993, als Sie ebenfalls nach einem Jahr Pause wieder ins Cockpit stiegen und schliesslich Ihren vierten und letzten WM-Titel holten. Wie schwer ist es, nach einer Pause wieder in den Rennrhythmus zu finden?
Ein Unterbruch ist immer ein Risiko. Man kommt schnell aus dem Tritt, sowohl körperlich als auch mental, und man verliert auch etwas den Anschluss an die technische Entwicklung. In meinem Fall dauerte der Unterbruch zum Glück nur neun Monate, und ich wechselte ins damals beste Team, Williams-Renault.

Alle Jahre wieder hoffen die Fans auf eine spannende Saison. Stehen die Chancen diesmal gut, dass die Ferrari-Dominanz zu Ende geht?
Ich denke, es wird zumindest enger für Ferrari. Die neue Generation mit Button, Räikkönen, Alonso und Montoya drängt auf eine Wachablösung. Nehmen wir mal an, dass Ferrari nicht mehr ein derart überlegenes Auto baut wie in der Vergangenheit und dass Michael Schumacher in jedem Rennen um den Sieg kämpfen muss. Wird er dann noch die Motivation haben, um dem Ansturm der «jungen Hunde» standzuhalten? Vielleicht kriegen wir ja in der kommenden Saison auf diese Frage eine Antwort.

Gibt es eine Wesensverwandtschaft zwischen dem heutigen Dominator Michael Schumacher und dem vierfachen Champion Alain Prost?
Natürlich gibt es immer Parallelen zwischen Champions. Doch ich denke, sein Fahrstil ist ziemlich anders, als es meiner war, auch sein Karriereverlauf. Zudem ist er die Nummer eins bei Ferrari - ich war nie die Nummer eins in einem Team, mehrere Male war ich sogar nur die Nummer zwei.

Und trotzdem: Genau wie Sie damals gilt Schumi als guter Taktiker, der im Rennen alle Optionen kühl abwägt...
Heute wird die Taktik weniger vom Fahrer als vom Team bestimmt. Auch sind die heutigen Autos viel zuverlässiger, da muss ein Pilot weniger abwägen, wie stark er die Reifen, das Getriebe oder den Motor schont. Das macht es so schwierig, Fahrer verschiedener Generationen zu vergleichen.

Im Februar sind Sie fünfzig geworden. Dennoch fahren Sie wieder regelmässig Rennen - im Rahmen der Eis-Rallye «Trophée Andros» am Steuer eines Toyota Corolla. Ist der Rennsport eine Droge?
Nun, wenn einem etwas gefällt, warum sollte man damit aufhören? Als ich Teamchef war, dachte ich nicht im Traum daran, wieder in ein Cockpit zu steigen. Doch dann ist die alte Leidenschaft wieder aufgeflammt. Eisrennen sind etwas völlig Neues für mich, das macht die Sache reizvoll. Zudem sind sie absolut ungefährlich. In meinem Alter gehe ich doch keine Risiken mehr ein...



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