SPORT AUTO, 01.09.1996

INTERVIEW MIT ALAIN PROST

"Wir haben uns von Williams täuschen lassen"


WARUM HAT ES NACH DEN VIELVERSPRECHENDEN WINTER-TESTFAHRTEN IN ESTORIL SO LANGE GEDAUERT, BIS DER MCLAREN-MERCEDES KONKURRENZFÄHIG WURDE?
Ich war nach den Testfahrten in Estoril selbst sehr zuversichtlich, denn man konnte schnell erkennen, daß der neue McLaren-Mercedes im Vergleich zum Vorgängermodell deutliche Fortschritte gemacht hat. Daß die ersten Rennen für McLaren enttäuschend verlaufen sind, lag weniger am Auto und am Motor, sondern am alles überragenden Williams. Wir haben uns bei den Winter-Tests alle von Williams täuschen lassen. Die haben dort nur geblufft.

WAS KANN MAN VON MCLAREN-MERCEDES NOCH ERWARTEN?
Unser Saisonziel war es, Williams so nah wie möglich zu kommen. Der Rückstand pro Runde sollte zwischen 0,3 und 0,5 Sekunden betragen. Dieses Ziel können wir noch schaffen. Wir haben uns in allen Bereichen verbessert: Aerodynamik, Fahrwerk, Motor. Eines muß uns aber klar sein: Williams können wir nur schlagen, wenn wir ein komplett neues Auto bauen. Dazu brauchen wir eine andere aerodynamische Basis.

WO HAT WILLIAMS NOCH TECHNISCHE VORTEILE?
Die letzten Reglementsänderungen mit der Stufe im Unterboden haben die aerodynamischen Prioritäten etwas verschoben. Es ist heute wichtiger, daß der Abtrieb über alle Fahrzustände stabil bleibt, als bei einem ganz bestimmten Fahrzustand möglichst viel Abtrieb aufzubauen. In diesem Punkt der aerodynamischen Stabilität ist der Williams allen anderen Autos überlegen.

WAS IST DAS ERFOLGSGEHEIMNIS DES WILLIAMS-RENNSTALLS?
Es gibt keine Politik in diesem Team. Die Verantwortlichkeiten sind klar verteilt. Frank Williams ist gezwungen zu delegieren, weil er von seinem Rollstuhl aus nicht alles allein machen kann. Die Organisation des Teams profitiert von dieser Konstellation.

LASSEN SICH DIE MCLAREN-STAMMPILOTEN MIKA HÄKKINEN UND DAVID COULTHARD VON IHNEN ETWAS SAGEN?
Sie hören mir schon zu. Und wenn sie es mal nicht tun, geht das auch in Ordnung. Ich will nicht, daß sie zu allem immer nur ja sagen. Dann wären sie keine guten Rennfahrer.

SIND SIE MIT IHRER ROLLE ALS TESTFAHRER, RATGEBER DER PILOTEN UND ABSTIMMUNGSEXPERTE ZUFRIEDEN?
Der Job macht für mich nur einen Sinn, wenn ich das Gefühl habe, eine Hilfe zu sein und wenn ich Verantwortung tragen darf. Ich weiß deshalb noch nicht, ob ich nächstes Jahr weitermache.

TRÄUMEN SIE IMMER NOCH VON EINEM EIGENEN TEAM?
Ich habe in dieser Richtung nicht viel unternommen, lese aber regelmäßig, daß ich bald schon Teamchef eines französischen Nationalrennstalls bin. Das ist der Wunschtraum der Medien, und sie schieben mich halt als Galionsfigur vor. Ich bin an einem französischen Team interessiert, wenn das Projekt seriös ist. Bei Ligier waren die Besitzverhältnisse lange so verworren, daß ich darüber nicht einmal nachgedacht habe.

SEHEN SIE AUF DEM FAHRERMARKT TALENTE, DIE MICHAEL SCHUMACHER GEFÄHRDEN KÖNNEN? HABEN JUNGE FAHRER NOCH EINE CHANCE EIN KONKURRENZFÄHIGES AUTO ZU BEKOMMEN?
Wir brauchen neue Fahrer aber ich habe kein Patentrezept, wie man sie integrieren soll. Es würde auch nichts nützen, wenn ich eines hätte. Die, die in der Formel 1 das Sagen haben, machen sowieso, was sie wollen. Wenn sie drei Autos pro Team fordern, bekommen wir drei Autos pro Team. Wenn sie der Meinung sind, daß zehn Boxenstopps pro Auto das Rennen interessanter machen, dann hält jedes Auto zehnmal zum Tanken.

MS



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